Hansen, Walter (Herausgeber)
Dez. 2011
ISBN10: 3423140615
Verlag: dtv
Rezension
Ratlos vor dem Scharfsinn einer vergangenen Epoche
ein Vogel federlos
Wer zum Teufel denkt bei einem Vogel federlos an eine Schneeflocke, die einer Jungfer mundlos zum Opfer fallen soll, die dann wohl unser Zentralgestirn ist. Ohne die letzten vier Seiten, die die Lösungsworte enthalten, wäre man rettungslos verloren, man bekäme höchstens eine Handvoll der Rätsel heraus. Zu Goethes und Schillers Zeiten muss das eine Manie gewesen sein, die da schon einige Jährchen auf dem Buckel hatte, dann aber abflaute. Dem Herausgeber zufolge lag das an einer Verflachung der Rätsel. Heute läge das daran, dass man gar nicht mehr so vertraut ist mit den Wortbedeutungen und schon gar nicht mit deren Umschreibungen.
das Arsenal
Eine ganze Kultur hatte sich da entwickelt, die fast schon eine Wissenschaft war. Dass eine Scharade ein Silbenrätsel ist, wo man als die eine zum Beispiel „viel“ errät und als zweite „leicht“ und das Ganze dann „vielleicht“ ist, das wird man eventuell noch wissen, auch das Vor-Rückwärts-Buchstabieren hat man schon mal gehört, dass dies ein Palindrom sei, aber spätestens beim Logogriph, dem Ersetzen einzelner Buchstaben und beim Anagramm, dem Umstellen der Reihenfolge der Buchstaben, muss man passen. Dabei enthält das Buch auch einige der Volksrätsel, wie das mit den sieben Häuten, aber die meisten sind Kunstprodukte und eben viel weniger eingängig.
ein Beispiel
Es stellt als Frucht das erste Paar,
als Pflanze sich das andre dar.
Doch wenn ihr beide wollt verbinden,
so wird alsbald ein Tier sich finden.
Entweder kennt man`s oder man ist verloren. Bei Frucht denkt man an Ananas, bei Pflanze an Begonie, aber welches Tier sich in der Ananasbegonie finden soll, will einem nicht einfallen. So wird die Sache wohl vor sich gegangen sein: Man erfuhr die Lösung und hat das Gedicht unter diesem Aspekt noch einmal gelesen und dann endlich verstanden, was es meinte. Versuchen Sie das mal mit Apfelschimmel, dann geht einem der Seifensieder auf.
das große Thema Turandot
Schiller hatte nicht nur die blanken Lösungsworte parat, sondern dichtete die Antwort mit zusätzlichem Spannungsbogen. Turandot, die Tochter eines sagenhaften chinesischen Kaisers, soll jeden enthaupten lassen haben, der die Absicht hatte, sie zu freien und ihre Rätsel nicht lösen konnte. Als es dann doch einer schaffte, wurde es erst so richtig dramatisch. Dass das Leben an der eigenen Geistesgegenwart hängen könnte, ist für Intellektuelle ein unsagbarer Reiz. Für uns Sterbliche reicht es schon, sich an den Lösungen zu freuen und an der kunstvollen Wortwahl. Von Schillers Turandot-Rätseln sind ein paar Lösungen verlorengegangen. Daran könnte man sich dann wirklich üben (Antwort in Versform, versteht sich).
Fazit
Wer wissen möchte, wie unterbelichtet er ist, ignoriere die letzten vier Seiten. Ansonsten ist es echte Arbeit und bräuchte wohl ein halbes Leben verzweifelten Nachgrübelns, aber die Lesefreude, wie man früher die Sachen verpackt hat, überwiegt.
Christian Rempel 25.12.2011