Der Gedichtladen

Gedanken aus dem Leben, für das Leben

Kolumne KW23

So nah ist Jena

 

Als Andreas Peter, der „Stadtwächter“ von Guben, den Roman Elsa Schuders ausgrub, schien er noch nichts über die Autorin ge­wusst zu haben, aber nun war er mit deren Tochter Rosemarie Anfang März sogar in Königs Wusterhausen. Rosemarie Schuder ist ja für ihre historischen Romane bekannt, die mir allerdings nicht so zusagen. Auch ist sie in Jena geboren, wo doch das erste Experi­ment in Sachen Mitbestimmung gelaufen ist und in der Zeit, wo Wilkes über den wasser­festen Hut nachdachten, hat Ernst Abbe an Mikroskopen und einer Stiftung getüftelt.
Insofern beides Handwerk ist, gibt es einige Parallelen, denn in beiden Fällen geht es um gut gehütete Produktionsgeheimnisse, wenn auch auf unterschiedlichem technischen Ni­veau. Abbe hat sich aber nicht nur auf so eine Vaterrolle beschränkt, wie sie der Carl Gottlob Wilke in seiner Hutmacherwerksatt, die dann zu einer richtigen Fabrik wurde, in­ne hatte, sondern Abbe hat ja aus dem Be­trieb eine Stiftung gemacht, also so eine Art Kollektiveigentum.
In der Bescheidenheit nehmen sich die bei­den Vaterfiguren auch nichts, denn sowohl Abbe als auch Wilke und selbst dessen Sohn Fritz, der dann das Geschäft­liche zur Blüte brachte, waren ausgesprochen genügsam. Abbe hat sich dann immerhin ausgiebige Aus­landsreisen geleistet, während die beiden Hutmacher selbst das weitgehend vermie­den.
Der entscheidende Unterschied dieser anhei­melnd patriarchalischen Verhältnisse, unter denen das deutsche Handwerk zur Blüte kam, dürfte die Rolle der Religion sein, denn die Hutmacher waren Altlutherisch, es gab Beziehungen zu Nikolaus Ludwig von Zinzen­dorf an, der die Herrnhuter Brüdergemeine gegründet hatte, während doch Abbe aus der Kirche ausgetreten war, was man viel­leicht aus der stärkeren Verwissenschaft­lichung seines Gebietes noch erklären kann.
Der alte Wilke war sogar nebenberuflich Pre­diger und wie ein roter Faden zieht sich die Religiosität durch die gesamte Handlung des Romans, in dem es Bruderzwist und ent­täusch­te Liebe gibt, aber alttestamenta­rische Ausmaße der Konflikte durch Besinnen auf die Bibel weitgehend vermieden werden konnten.
Das ganze Buch „Die Hutmacher“ strahlt so eine Herzenswärme, Sittsamkeit und Gottes­furcht aus, dass man nicht anders kann, als sich solche Verhältnisse zurückzuwünschen, wo das christliche Bekenntnis und dessen Gebote bis in die ehelichen und familiären Beziehungen hinein seine sichere Wohnstatt hatte.
Abbe hatte mit handfesten krankhaften Abhängigkeiten zu kämpfen, während die beiden ins Geschäft involvierten Hutmacher­söhne nur eine seelische Rivalität austragen und Konflikte von dem Zuschnitt sind, dass der eine, Theodor, ein Zwillings­paar junger Frauen liebt, bewogen wird, eine davon zu erwählen und die andere den gespielten Verzicht mit dem eigenen Leben aufwiegt.
Auch Theodors Ausstieg aus dem Geschäft mit nur vierzig Jahren und seine Hinwendung zu den Künsten, allerdings mehr als Konsu­ment, wird vorsichtig problematisiert. Er ist aber vom persönlichen Glück mehr gesegnet als der strebsame Bruder Fritz, dem immer wieder Schicksalsschläge ins Haus stehen.
Ein kunstvolles, ein erbauliches Buch, das ganz dazu einlädt, gute Nostalgiegefühle zu wecken und wie die ganze schlummernde poetische Geschichte Gubens, aus der sich die Handlung speist, sich eine Welt zurückzu­wünschen, in der der Umgang liebevoll ist, voller Seelengröße, wo menschlich bewältig­ba­re Konflikte statthaben, wo man gern ver­weilen würde und wenn es geht außer­dem an der Ehre deutscher Wertarbeit mitwirken.

im Waltersdorfe 28.5.2012