Einen furiosen Anfang hat Jakob Hein gefunden für seinen Roman „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“. Da hat nämlich ein junger Mann ein Unternehmen, in dem er der einzige Angestellte ist und durch dessen Bürotür noch kein anderer als er selbst gegangen ist, das, durchaus auf Publikumsverkehr eingestellt, verworfene Ideen sammelt. Das ist weniger im Wortsinn von schweinisch gemeint als vielmehr im Sinne von abgetakelt. Ideen eben, die aus mehr oder weniger guten Gründen wieder zur Seite gelegt worden sind. Es versteht sich, dass dieser junge Mann ein Single ist, der irgendein Erbe in der Ladenmiete für sein zweifelhaftes Unternehmen verprasst. Noch weniger nimmt wunder, dass dann doch eines Tages eine wunderschöne Frau durch die Tür des Erfolglosunternehmens eintritt und sich die Idee von der Verwertung verworfener Ideen anhört. Dass er aus diesem tollen Anfang noch so etwas wie den Reif einer Rahmenhandlung zimmert, können wir nicht anrechnen, denn dazu ist der Bogen zu dünn.
Von den aufgeführten Beispielen solcher verworfener Ideen ist das eindrucksvollste die Aufstellung einer Formel für die Benutzung von Toiletten, wenn daran eine große Auswahl besteht – ein Problem, das jeder im Grunde kennt, wenn er vor einer solchen Türreihe steht, aber wohl nicht weltbewegend genug, dass man davon gemeinhin Aufhebens machen würde. Die anderen verworfenen Ideen sind auch nicht viel besser, doch der junge Unternehmer schwärmt für einen Synergiecharakter, der entstehen könnte, wenn all die losen Enden, gegen Provision versteht sich, verknüpft würden.
In diesem ersten glänzenden Fragment geht dem Autor die Luft aus, indem er sich dann einer Ausnahme zuwendet, die doch sein eigentliches Metier ist, nämlich den Romananfängen, die er auf keinen Fall der Kategorie der zu sammelnden Ideen zurechnen würde, von denen sich zudem noch herausgestellt hatte, dass sie fast alle von ihm selbst stammen. Romananfänge seien ungeeignet – auch auf die unwahrscheinlichste Weise nur – in ihrer Gesamtheit noch den Effekt haben zu können, dass sie einer Brauchbarkeit zugeführt werden könnten. Dann erzählt der Unternehmer der schönen Frau aber etwas mehr als einen solchen Anfang, wohl wieder ein Fragment, bei dem wieder Verlegenheit um das Ende oder Fortgang der Geschichte entsteht und die Lücke mit einem weiteren Fragment zu stopfen ist.
Leider werden diese Matrjoschkas immer dröger, weil sich die Dritte dann um den Sinn des Lebens dreht, wo dem Autor dann endgültig die Luft ausgeht. In der zweiten Geschichte bricht eine, ebenfalls mit überwältigender Schönheit begabte, Frau auf der Straße zusammen und fällt ins Koma. Auf der Intesivstation beginnt sie zwar sehr ausführlich zu sprechen, um die dritte Geschichte zu erzählen, die sie als Sekretärin eines erblindeten Schriftstellers erfuhr und dessen Ergüsse wiedergibt, die eben von der Suche eines weiteren Singles nach dem Sinn des Lebens bestehen, sich also ziemlich zusammenhängender Rede befleißigt, weil sie glaubt in einem bestimmten Arzt einen unbefangenen Zuhörer gefunden zu haben, sie aber dennoch nach gehabter Rede von diesem „abgeschaltet“ wird.
Es gibt also in dieser ganzen Schachtelei auch einen roten Faden, der einerseits der Anbetung der Schönheit bei Frauen und der Geistesgewandtheit bei Männern die Stange hält, aber andererseits auch die Düsternis der Beziehungslosigkeit und Sinnlosigkeit durchschlagen lässt. Die innerste Matrjoschka mit der Sinnsuche gemahnt ein wenig an den Pakt mit dem Teufel.
Dass man bei all diesen Versatzstücken jeglichen Beziehungsabenteuern aufgeschlossen sein kann, erfordert, dass alle Singles sind und wir erhaschen einen Blick darauf, dass man als Frau möglichst schön sein und als Mann möglichst schön scheitern muss und dabei recht unterhaltsam sein sollte.
Wir können mit diesen belehrenden uns analysierenden Ausführungen natürlich die angenehme Leichtigkeit dieses Romans nicht ersetzen, bei dem man wirklich recht vergnügliche Stunden verbringt. Da er sich schnell genug liest und einen nicht wie Fontane in Tiefsinn verharrend zurücklässt, sei er durchaus empfohlen.
C.R. 24.7.2012
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